Es gibt nicht viele Platten, die einem beim Hören an The Slits, CocoRosie, Portishead, Donkey Monkey, Micachu and the Shapes und The Thing featuring Neneh Cherry denken lassen. Das zweite Album von Phall Fatale kann eigentlich nicht wirklich funktionieren: Post Punk im Geiste, während offensichtliche Virtuosität zur Schau gestellt wird, scheint ein Widerspruch zu sein. Aber „Moonlit Bang Bang“ ist außerordentlich präzise, trotz des unüblichen Aufeinandertreffens von Technik und dem Gefühl, zu Tränen gerührt zu sein. So verdreht und harsch es in manchen Momenten klingt, so fragil und subtil ist es in anderen, die Avantgarde-Improvisationen werden in eine catchy und kompakte Songform kanalisiert – so wird ein Album draus.
Vielleicht ist es das, was passiert, wenn deine musikalischen Einflüsse aus Nina Simone, Jimi Hendrix, Iannis Xenakis und Albert Ayler bestehen. Es ist nicht einfach einzuschätzen, wo das alles enden wird. Zeitgenössischer Post Punk? Avant Pop? Leftfield Vocal Jazz ohne Unterstützung durch Blechinstrumente und ohne nach im landläufigen Sinne zu verstehenden Solos? Die Art von R’n’B, die alten R’n’B wie Rihanna klingen lässt? Die Band selber sieht ihr Album als zeitgenössischen Pop – aber die Art von Pop, der die Improvisation stark herausstellt und mit Hardcorehäppchen plus Groove und Spoken-Word-Elementen durchsetzt.
Das Line-Up des Ganzen ist recht ungewöhnlich: Zwei Sängerinnen, zwei Kontrabassisten und ein Drummer. Eine der Sängerinnen ist Joana Aderi, die auch als experimentelle Elektronikerin unter dem Namen Eiko unterwegs ist; begleitet wird sie von Joy Frempong, bekannt als eine Hälfte von OY. Einer der Bassisten ist Daniel Salier, bisher bekannt als zeitgenössischer, klassischer Musiker und für Hardcore Noise (O’Haldenramm, Krakatau, Pol, Frachter). Der andere ist John Edwards – ein ziemlich gelungener Fang, da er mit Avantgarde- Koryphäen wie Evan Parker, Peter Brötzmann und Wadada Leo Smith gearbeitet hat, und auch weil er Songs von Robert Wyatt bei und mit Comicoperando performt hat. Vervollständigt wird die Gruppe durch Fredy Studer (Joe Henderson, Miroslav Vitous, Dave Holland, Jack DeJohnette, Paul Motian, John Abercrombie, John Zorn, Fred Frith). Etwas in Studers Spielweise, die eine komplette Skala von Rock ausgehend, bis raffiniert abstrakt abdeckt, reflektiert die Band als Ganzes und scheint besonders zu Slowfoot zu passen – dem von dem Drummer Frank Byng gegründeten Label, das schon viele starke Drummer veröffentlicht hat (Seb Rochford, Tom Skinner, Charles Hayward).
Auch die Songs sind schwer greifbar. Opener und Lead Single „The Girl, The Beat“ erinnert an Grace Jones und Barbara Morgenstern. Dennoch augenscheinlich (wunderbar unerwartet) inspiriert durch Right said Fred.
Der Song „Electric Eel“ hat etwas vom gleichen Feeling, aber mit einem Stop-Start-Arrangement, das dich niemals in Sicherheit wiegt. Dasselbe kann über Fish Tank und Crocodile gesagt werden, bei denen verzerrte Chöre auf wahrlich ergreifende Abschnitte prallen und sich tief vor dem Bass verneigen. Und es gibt sogar ein Jimi-Hendrix-Cover: “Manic Depressions“, das noch manischer und depressiver klingt, als das Original. Das musikalische Können ist außergewöhnlich und die musikalischen Horizonte haben ebenfalls eine außergewöhnliche Weite. Die Strophe von „Sugar Drops“ featured einen flinken, wilden Bass mit einem ungezwungen rollenden Beat, aber plötzlich bringt die Rhythmusfraktion das Ganze im Chorus ins Wanken. Die Zwillingsstimmen währenddessen können absolut synchron sein, wie auf „Ring The Bell“ klingen; ein Mittelweg zwischen Underground Hip-Hop und indischen Gesangsübungen, sie können sich aber genauso in aufteilen, wie bei dem Call&Response-Chorus zu „Sleeping Beauty“. Der Schlüssel des ganzen Gewebes ist Roli Mosimann. Ein frühes Mitglied der Swans, der auch mit JG Thirlwell, Young Gods, New Order, The The und Faith No More zusammengearbeitet hat – und von Studer als sechstes Bandmitglied bezeichnet wird.
Phall Fatale wurden 2008 gegründet. Ihr Name nimmt gleichzeitig Bezug auf eine männliche Femme Fatale und das berüchtigte, scharfe rote Curry.
Das unübliche Line-Up der Band ist aus einem Versehen heraus entstanden. Studer verbündete sich zuerst erst mit den beiden Sängerinnen, mittels Auditions sollte ein Bassist gefunden werden, um einen Gitarrist könnte man sich ja später noch kümmern. Nicht fähig, sich zwischen Sailor und Edwards zu entscheiden, beschlossen sie beide zu behalten und auf den Gitarristen zu verzichten. Doppel- Kontrabass ist unüblich. Jedoch nicht beispiellos im Free Jazz. Es funktioniert hier, da beide Bassisten so unterschiedlich sind. Sailor spielt oft elektrischen Kontrabass und nutzt dabei die Effektpedale, während Edwards wahrscheinlich der körperlichste Kontrabassist des Planeten ist. Fähig, völlig unerwartete Sounds aus seinem Instrument zu zaubern. Entscheidend ist, dass beide Bassisten auch Grooves spielen können. Das Interesse an beidem, an Groove und an Improvisation, war Studers grundlegende Vision.
Phall Fatale haben bereits ein Vorgängeralbum veröffentlicht. 2013 „Charcoal on Fire“, bis jetzt gab es noch keinen UK-Release und die Band hat bisher nur in Deutschland und in der Schweiz live gespielt (Edwards lebt in London, Frempong in Berlin und die anderen drei Musiker in der Schweiz). Überzeugter als das Debüt und in England bei Slowfoot veröffentlicht, ist „Moonlit Bang Bang“ das Album, das Phall Fatale mit einem breiteren Publikum in Berührung bringen wird. Es ist sonderbar, kaleidoskopisch und wurde von Aderi wie folgt beschrieben: „Wie ein Dinosaurier, das durch eine urbane Sci-Fi Umgebung stapft“.
Am bemerkenswertesten ist wohl die Tatsache, dass das Album trotz aller Vielfalt immer noch schlüssig und zusammenhängend klingt, ja sogar catchy. Das Gerüst mag oft wackeln, aber die soliden Songs und Hooks der Gesangszeilen bleiben intakt.
Das neue Album „Moonlit Bang Bang“ erscheint am 15. Januar 2015 bei Slowfoot Records und Quilin Records.