The struggle is real. So real wie noch nie. Ob in Lagos oder in London, in Ouagadougou oder in New York: Das Leben ist hart, und es wird nur noch härter. Bleib also wachsam. Leg dein Ohr auf die Erde und spür die Vibrationen. Der Topf kocht bald über, und genau in diesem Moment brauchen wir echte Anführer, sagt Seun Kuti – und der muss es ja wissen.
Auch der jüngste Sohn der Afrobeat-Legende Fela Anikulapo Kuti erzürnt sich über Ungerechtigkeit und will sie bekämpfen, weil er an echte Größe glaubt. Mit seinem neuen Album “Black Times ” ehrt er die Revolutionäre, die den Weg bereitet haben, und will damit die Aufständischen von morgen inspirieren. Und wenn diese Visionäre, die für einen Wandel kämpfen wollen, und die wachen Massen an ihrer Seite sind, wird das Album der Soundtrack sein. Hymnen an echte Werte und echte Nachrichten, Bläser-getriebene Songs über Korruption und Heuchelei, aber auch lange Tracks zum Tanzen, Nachdenken und Hoffen. Es brennt. „Ein anderes Leben ist möglich“. sagt Kuti, mit seinem Alt-Saxophon um den Hals, “A.F.R.O.B.E.A.T.” auf die Knöchel tätowiert und “Fela Lives” auf seinen Rücken.
Es gibt einen anderen Weg. Hör zu, und du wirst ihn finden. “Black Times ” ist das vierte Studio-Album von Seun Kuti & Egypt 80, dem außergewöhnlichen Orchester, das von Fela Kuti als Megaphon für die einfachen Leute gegründet wurde. Die Band begann als Africa 70 und wurde dann umbenannt, um die afrikanischen Wurzeln in der Zeit der ägyptischen Hochkultur zu unterstreichen.
Als 14-Jähriger erbte Seun nach dem Tod seines Vaters 1997 das Orchester. Seitdem hat er auf “Last Revolutionary” hingearbeitet – es ist sein leidenschaftlichstes, ehrlichstes und rundestes Album. Vor drei Jahren veröffentlichte er das umjubelte “A Long Way To The Beginning”, das wie “Last Revolutionary” vom Grammy-ausgezeichneten Jazz-Pianisten Robert Glasper co-produziert wurde. In der Zwischenzeit ist er als Künstler, als Aktivist und als Mensch gewachsen. “‚Last Revolutionary’ spiegelt perfekt wider, was ich über die Politik und die Gesellschaft denke”, sagt der inzwischen 34-jährige Sänger, Bandleader und Musiker. Auf einigen Tracks wird er von Gaststars unterstützt, wie der Gitarrenlegende Carlos Santana, Sänger Nai Palm vom Future-Soul-Quartett Hiatus Kaiyote , dem Rapper und Künstler Yasiin Bey (früher Mos Def) und natürlich Glasper, dessen Tastenzauber die Musik in völlig neue Sphären versetzen kann. “Musik muss eine Mission und eine Aufgabe haben”, erklärt Kuti, der vor Kurzem beim UK-Label Strut unterschrieben hat. “Ich ehre damit meine Eltern und jeden Revolutionär, der vor mir kam und die Welt verändert hat”. Er ist inzwischen Vater geworden. Er ist älter. Er weiß, wer er ist und was er zu tun hat: “Ich habe mich für eine Seite entschieden. Künstler sollen diplomatisch sein, gleichzeitig weise und dumm. Es ist nicht leicht, authentisch zu sein, es verlangt einem viel ab”. Er hält kurz inne und zuckt mit den Schultern. “Aber jetzt sind der Künstler und der Mensch miteinander vereint”. Eine lange Tour hat auch seinen Konzerten neue Energie verliehen. Seun spielt immer ein oder zwei Songs seines Vaters, auf dem gleichen Adrenalin-Level wie die Originale. Funk-Bläser, treibende Beats, mitreißende Chants und Hooks zum Mitsingen werden mit modernen Einflüssen angereichert. Im Alter von acht ist Seun das erste Mal mit seinem Vater (im Apollo Theater in Harlem) aufgetreten, und löst inzwischen auf Festivals wie Glastonbury und Roskilde helle Begeisterung aus. “Wie moderner Jazz findet Seun Kuti für seine Version von Afrobeat Anschluss an Hip Hop, indem er alle Mauern einreißt”, erklärte The Quietus. Der Afrobeat-süchtige Brian Eno, der 2010 Seuns Album “From Africa With Fury: Rise” produzierte, stellte fest, dass Kuti und seine Band “die vielleicht wildeste, lebendigste Musik auf dem ganzen Planeten” spielen.
Die Ideen für “Last Revolutionary“ entstanden, als Kuti und Egypt 80 durch die Welt reisten, aber geschrieben wurden die Songs in seiner Heimatstadt Lagos.
“Ich habe viel Liebe und Einkehr gespürt, als ich dieses Album geschrieben habe”. sagt Kuti. “Ich dachte daran, was wäre, wenn Afrika einen Philosophenkönig hätte, der gleichzeitig Musiker ist, der Alkebulan (der alte kemetische Name für das Mutterland) mit ganzem Herzen liebt? Was für ein Album würde er machen? Was würde er den Menschen mitteilen?”. “Zu viele der Herrschenden in Afrika denken eher an sich als an ihr Land“, sagt Kuti, “und zu viele Menschen in Afrika und im Westen sind bequem und faul geworden. ‚Last Revolutionary’ richtet sich an jeden, der an Veränderung glaubt und findet, dass es unsere Pflicht ist, aufzustehen und gemeinsam dafür zu kämpfen. Das System sagt, dass wir zu unterschiedlich sind, aber der Kampf vereint uns”. Es geht um Klassenkampf: “Die Herrschenden haben es immer verstanden, die Arbeiter und die Armen dieser Erde zu spalten. Diese Art von Unterdrückung und wirtschaftlicher Verunsicherung betrifft Arbeiter in Flint, Michigan genauso wie in Lagos, in Johannesburg oder woanders”. Die Songs sollen zu Diskussionen anregen und neue Maßstäbe setzen.
Wie das elegante “African Dream”: Wirtschaftlicher Erfolg zählt wenig, behauptet der Song, und auch die von den Herrschenden “akzeptierten” afro-amerikanischen Stars können keine Vorbilder sein, sagt Kuti: “Stattdessen sollten wir uns mit den Gedankenwelten solcher Denker wie dem Pan-Afrikanisten Doctor Amos Wilson beschäftigen“.
Seine Botschaft ist wie ein Geschenk: “The message“, singt Kuti, “is free”. Auch mit Fake News legt sich Kuti an. “Black Times”, getragen von stürmischen männlichen und weiblichen Gesangsharmonien, wütenden Riffs und Kutis schneidendem Tenor-Sax, verkündet die Wahrheit. Textzeilen wie “Understand your history/rise to be free” sind wie eine investigative Reportage und bringen Licht ins moderne Dunkel. Der Song wird von Carlos Santana zusätzlich angetrieben: “Santana hatte in seiner Biographie meine Texte zitiert und geschrieben, dass ihm meine Haltung als afrikanischer Künstler imponiert, also haben wir ihn eingeladen”, erklärt Kuti die Zusammenarbeit.
“Black Man Light Up” ist eine Bläser-schwere Hymne auf gutes Weed; der politische Song “Gimme My Vote Back (C.P.C.D.)” – das „Corporate Public Control Department“ – ist eine Protesthymne gegen die nigerianische Regierung unter Muhammadu Bahari und betrügerische Politiker auf der ganzen Welt. Das frenetische und anklagende “Kuku Kill Me” hat Kuti zusammen mit dem Egypt-80-Veteranen Abedimeji „Showboy“ Fagbemi geschrieben, der Titel verweist auf ein nigerianisches Sprichwort: “Wenn jemand dich nicht in Ruhe lässt, denkt man: genug Stress, kuku kill me now”.
Mit dem Song “Theory of Goat and Yam” macht sich Kuti über den ehemaligen nigerianischen Präsident Gooluck Jonathan lustig, der Korruption rechtfertigte, indem er Politiker mit von Süßkartoffeln verführten Ziegen verglich: “Wer Geld veruntreut, mit dem Krankenhäuser oder Straßen gebaut werden sollten, der setzt damit Menschenleben aufs Spiel”.
“Last Revolutionary” ist ein Denkmal für echte Anführer. Es ist der erste Song, den Kuti für das Album geschrieben hat, und er fasst zusammen, worum es ihm geht: “Zu viele Afrikaner haben vergessen, was es heißt, Afrikaner zu sein, und fügen sich dem Westen. Sie schmeißen ihr Jura-Studium, um Mode zu designen, Partys zu organisieren oder im Westen zu arbeiten, und werden dafür auch noch gelobt. Es gibt in New York mehr nigerianische Ärzte als in ganz Nigeria”, sagt Kuti. “Dieser Brain ist ein Angriff auf unser Land”. Kuti will die Menschen wieder in ihre Heimat bringen und ihnen von Freiheit erzählen – “wie wir uns sehen und welche Rolle wir spielen wollen”– und ihnen auch von den Helden ihrer Heimat berichten: Krame Nkrumah, Freiheitskämpfer, Pan-Afrikanist und erster Präsident von Ghana; Thomas Sankara, Revolutionär, Pan-Afrikanist und Präsident von Burkina Faso; Patrice Lumumba, der Kongo in die Unabhängigkeit führte und das erste demokratisch gewählte Oberhaupt des Staates wurde; Abder Nasser aus Ägypten, der erste moderne afrikanische Präsident, der sich dem arabischen Imperialismus entgegenstellte, der Afrika genauso prägt wie westlicher Imperialismus; Séckou Touré, der frühere Präsident von Guinea, ein Symbol für afrikanische Unabhängigkeit und Mut; Kwame Ture, der trinidadisch-amerikanische Bürgerrechtler, der als Stokely Carmichael in den Kampf gezogen ist; Marcus Garvey, der jamaikanische Vertreter eines schwarzen Nationalismus und Gründer der Black Star Line, mit der Afrikaner aus der Diaspora zurück ins Mutterland geführt werden sollten; Shaka Zulu, der berühmte Philosophenkönig der Zulus; Fela Kuti, Aktivist, Pan-Afrikanist und Afrobeat-Ikone; Isaac Boro, nigerianischer Nationalist und Bürgerkriegslegende; Beko Ransome-Kuti, Felas Bruder, Seuns Onkel, Arzt, Freiheitskämpfer und Menschenrechtler. “Ich spreche die Namen dieser Männer aus, die für uns gestorben sind und nicht auf Wiederauferstehung hofften”, sagt Seun Kuti. “Vielleicht wird ein junger Mann oder eine junge Frau dann darüber nachdenken, wer sie sind. Vielleicht schlagen sie die Namen nach, googeln sie und beginnen dann eine Reise, deren Ziel sie selbst nicht kennen“.
“Struggle Sounds”, die erste Single des Albums, macht deutlich: In jedem von uns schläft die Revolution, sie muss nur geweckt werden: “No materialist thinking/I don’t see my blessings in man-made things/just the true essence of a human being/that’s the struggle way.”
“Das ist meine Botschaft”, sagt Kuti mit erhobenem Kopf. “Wir alle können die Dinge verändern, wie Arbeiter, wie Menschen aus Eisen. ‚Struggle Sounds’, das sind die Geräusche, die wir machen, und eine Waffe für den Kampf, der geführt werden muss. Unser Bild von der Welt braucht mehr Farbe”.