Nein, neu im Geschäft ist El Michels Affair nicht. El Michels hat hart gearbeitet, in unzähligen mitternächtlichen Studiosessions und auf einer Welttournee für den Wu-Tang Clan. Und eins ist klar: Diue Band ist dabei auf eine gute Art gealtert.
Nachdem es 2005 wie aus dem Nichts mit dem Instrumentalalbum „Sounding Out The City“ aufschlug, hat sich das Studio-konzentrierte Kollektiv, angeführt vom Multiinstrumentalisten, Komponisten und damaligen Teenager Leon Michels, Fans auf allen Kontinenten erspielt. Trotzdem bleiben die Band unauffällig, sogar geheimnisvoll.
Die Gruppe ist für ihre schwelgerischen Soul-Instrumentals bekannt, aber auch für ihre Wu-Tang-Covers, wie die explosive Reaktion auf ihre zwei Alben „Enter The 37th Chamber“ (2009) und „Return To The 37th Chamber“ (2019, auf Big Crown Records, bei dem Michels Mitbesitzer ist) beweist.
Das alles ist aber längst Geschichte, denn das rundeste und reifste Album der Band mit dem passenden Titel „Adult Themes“ beweist, welche neuen instrumentalen Höhen sie erklommen hat. Das Album, das Michels als „Soundtrack für einen imaginären Film“ beschreibt, ist eine Sammlung von opulenten, abgründigen, komplexen und oft sehr funkigen Stücken, die die Ohren zum Schwingen und die Köpfe zum Nicken bringen.
Michels erklärt das Konzept so: „Ich habe nicht an einen konkreten Film gedacht, aber nach der Arbeit klang die Musik wie ein Soundtrack. Ich hatte gerade eine Soundtrackphase, mit Künstlern wie François de Roubaix, Riz Ortolani, David Axelrod und Serge Gainsbourg“. Fans dieser Größen werden sofort hören, wie sie „Adult Themes“ beeinflusst haben, und auch, wie deutlich die Handschrift von Michels und dem Rest ist.
„Der Rest“ bedeutet auf diesem Album vor allem Michels übliche Crew, von denen einige schon vor 15 Jahren auf „Sounding Out The City“ zu hören waren: Homer Steinweiss (Schlagzeug); Nick Movshon (Bass) und Michael Leonhardt als Bläser und Arrangeur. Paul Spring, Gitarrist der Holy Hive, ist der Neueinsteiger. Wenn Michels gefragt wird, ob er denn nun Saxofon, Orgel, Flöte, Klavier, Gitarre oder Bass spielt, antwortet er einfach „alles“ und fügt hinzu: „Viele andere Musiker haben die weißen Flächen ausgemalt, und sie alle haben zur Entstehung der Songs beigetragen“.
Das Album selbst entstand im Laufe eines Jahres in Michels neuem Homestudio in Upstate New York. Brooklyn vor einigen Jahren zu verlassen hat ihm neue Freiräume ermöglicht, Zeit zum Ausprobieren, Aufnehmen und Mischen. „Es ist mein Traumstudio“, strahlt er. „Im Grunde ist es eine aufgemotzte Version von dem, was ich mit 18 in meinem Schlafzimmer stehen hatte [als „Sounding Out The City“ aufgenommen wurde], aber mit mehr Technik und cooleren Sachen an der Wand. Es ist ein einzelner offener Raum – keine Wände oder Isolation –, in dem einfach viel steht“.
Die Wirkung dieser neuen Umgebung und ihrer Möglichkeiten hört man dem Album an. Michels ist auf einem neuen Level, obwohl er als Solokünstler und Bandleader in den letzten zehn Jahren schon so viel erreicht hat, mit Credits als Songwriter oder Produzent für Adele, Beyoncé und Lana Del Rey bis zu Dr. John und Aloe Blacc. In dieser Zeit hat er auch mit vielen Hip-Hop-Künstlern gearbeitet, darunter natürlich The RZA, als EMA 2007 die Tourband für den Wu-Tang Clan war. Einige der so entstandenen Instrumentals waren Vorstudien für die Stücke auf „Adult Themes“. Michels erklärt: „Die Zusammenarbeit mit Künstlern, die Instrumentals zum Samplen wollten, hat meine eigenen Kompositionen total verändert, vor allem, was den Einsatz von Drums angeht. Mein Instinkt als Produzent ist eigentlich, sie einfach überall und dauernd einzusetzen, aber viele Produzenten wollen das nicht. Mit der Zeit gefiel mir dieser neue Sound auch“.
Diese Sätze beschreiben Stücke wie „Adult Theme No. 2“ und „Kill The Lights“ perfekt: Hier ist das Schlagzeug entweder abwesend oder schwebt nur kurz durch den Raum und bleibt im Hintergrund. „Für ‚Kill The Lights‘ habe ich Samples und Ableton benutzt. Diese Kombi war für mich neu, das Ergebnis hört sich für mich jedenfalls wie ‚Klassik-Trap‘ an“. Andere Kompositionen, wie der geheimnisvolle 60s-Klangteppich „Villa“ und der soulige Tagtraum „Rubix“, haben sehr wohl treibende Percussion (wenn auch mit Handbremse), die aber nichts überlagert.
Wenn das Album eine Lead-Single hat, dann wohl das wunderschöne „Enfant“ auf Side 1, auf dem Shannon Wise von den Labelkollegen The Shacks zu hören ist. „Ich liebe die Melodie, die Shannon eingefallen ist“, sagt Leon. Ihr wortloser, wunderschöner und fragiler Gesang schwebt über der akustischen Gitarre, der Flöte, den Bläsern und dem soften 70s-Schlagzeug. In dem passenden Film zum Album untermalt das Stück vielleicht die Szene, in der sich zwei Liebhaber begegnen, vielleicht im Sommer.
„Hipps“ und „Life Of Pablo“ (bei dem das Weinen von Leons Sohn Pablo im Intro zu hören ist) klingen mehr wie klassische Filmmusik oder komplexe Soul-Instrumentals, die auf starke Sänger warten.
Seinen eigenen Weg seit „Sounding Out The City“ beschreibt Michels so: „Ich war 18, als dieses erste Album entstand, heute bin ich 38. Seitdem ist viel passiert, auch deswegen heißt das neue Album ‚Adult Themes‘. Ich fühle mich geduldiger, und die Musik auch, vor allem, was diese kleinen Interludes angeht. Ich wollte mal Maler werden, und die Arbeitsprozesse ähneln sich. Mir geht es immer um die Balance zwischen einem modernen Feeling und old-school sounds„.
Vielleicht wird Michels imaginärer Film eines Tages wirklich gedreht. Bis dahin können wir uns die Musik dazu anhören, unsere eigenen Bilder und Szenen entwerfen und einfach die Reise genießen.
KÜNSTLER: EL MICHELS AFFAIR
ALBUM: ADULT THEMES
SINGLE: ENFANT
LABEL: BIG CROWN RECORDS
VERTRIEB: SECRETLY DISTRIBUTION/CARGO RECORDS
VÖ ALBUM: 5. JUNI 2020
VÖ SINGLE: 20.3.2020