“We’re improvisers first and we’re bringing “moment music” into these other zones of hip hop and electronic music, drum machine music, sound-system culture… Acoustic musicians sun-kissed by electro-magnetism, flowing out into everything. This is the shit that we want to be playing on big ass systems. Omnivorous, energy space time, mosh pit dance-music. Get it in the subwoofers so you can feel it hit, cuz the music has to begin in the body!” – jaimie branch
Anteloper kündigen ihr neues Album Pink Dolphins an, das am 17. Juni 2022 via International Anthem veröffentlicht wird. Am heutigen 20. April erscheint ihre neue Single und das Video zu One Living Genus.
jaimie branch und Jason Nazary sind Anteloper. Wenn man sie nach ihrem Namen fragt, beginnt Branch zu reimen: “An Anteloper, is an antelope, interloper”, jovial fügt sie hinzu, “an antelope walks up to a party, but you know, people don’t want him around.” Es stellte sich heraus, dass sie den Namen schon hatte, bevor die Band gegründet wurde, und als das Duo schließlich mit den Proben begann, war klar, dass DAS der Klang eines Anteloper war.
Eine weitere Kreatur taucht im Titel des neuen Albums des Duos auf: Pink Dolphins. Branch erklärt, dass der Name zum Teil eine Anspielung auf ihre kolumbianische Herkunft (mütterlicherseits) sei: “There’s these amazing pink river dolphins that live in the Amazon – they can swim in salt water, they can chill in fresh water, or they can rock in mixed up brackish waters. They are uniquely ‘aquadelic’ in that way. Aquadelic and super endangered.” In vielerlei Hinsicht sind Branch und Nazary wie diese Delphine – anpassungsfähig an unterschiedliches Terrain und in viele Richtungen beweglich durch Sound.
Auch das Cover von Pink Dolphins stammt von Branch selbst, die hauptsächlich mit Tusche und Gouache arbeitet und nach eigenen Angaben ihre Bilder zum ersten Mal stark digital bearbeitet hat. Erneut hat sie mit John Herndon (von Tortoise) zusammengearbeitet, mit dem sie schon die Cover ihrer ersten beiden FLY or DIE-Veröffentlichungen gestaltet hat und der auch schon mehrere Tattoos für sie gemacht hat. Dies ist jedoch nicht die einzige Verbindung zu Tortoise. Pink Dolphins ist ein neuer Maßstab für das Duo, nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von Jeff Parker, den sie als Produzent für das Album im Jahr 2019 rekrutiert haben. Parker merkt an: “I was immediately excited… Anteloper has a very unique sound and chemistry, and I love the spirit behind everything that they’re doing.”
Doch bevor wir uns dem neuen Album im Detail widmen, eine kurze Zusammenfassung: Musikalisch trafen sich Nazary und Branch zum ersten Mal in Boston in ihren späten Teenagerjahren. Ihre letzten beiden Alben – Kudu von 2018 (das im Januar 2022 zum ersten Mal auf Vinyl wiederveröffentlicht wurde) und Tour Beats Vol. 1 von 2020 – waren beides „Proof-of-Concept“-Experimente, bei denen Synthesizer, experimentelle Desktop-Elektronik, Gadgets und Effekte mit der Energie und Einstellung des Punk und einem unstillbaren Durst nach ausgedehnten Space-Jams verschmolzen wurden. branch arbeitet mit ihrer Band Fly or Die und ist auch mit Exploding Star Orchestra, TV On The Radio, Matana Roberts, William Parker und vielen anderen aufgetreten. Nazary veröffentlichte letztes Jahr ein Soloalbum, Spring Collection, auf We Jazz Records in Helsinki und trat mit Helado Negro, Bear In Heaven, Little Women, Desertion Trio und vielen anderen auf.
Das aktuelle Werk von Anteloper trägt etwas unbestreitbar Aktuelles und Neues in sich. Es kanalisiert ein breites Spektrum an Ausdrucksformen, vom nach kosmischer Musik/Post Punk klingenden Opener Inia bis zum seismischen, spektralsättigenden Albumabschluss One Living Genus. Anteloper bahnt sich selten begangene Pfade kreuz und quer durch eine Wildnis aus Elektronik und Jazz. Und obwohl man annehmen könnte, dass Jazz und Elektronik heutzutage übliche Genre-Interaktionen sind, dringen Antelopers Experimente tief in unerforschte Räume zwischen den Lexika vor.
Es gibt auch einen Punk-Aspekt bei Anteloper – Branch macht das deutlich, wenn sie sagt: “I’m coming from punk. We’re both coming from punk!” – Man kann diese Energie in ihrer DIY- und Do-or-Die-Herangehensweise tatsächlich spüren. Darüber hinaus lassen sie sich von Live Evil – einem Referenzalbum der beiden Musiker – ein wenig von der Prä-Punk- und Innovationsenergie von Miles Davis anstecken. Apropos Miles – sein Trompetensolo auf Green Dolphin Street (schon wieder Delphine!) war das erste Solo, das branch jemals transkribiert hat, und Nazary sagt, dass er, als sie anfingen, zusammen zu spielen, Little Church von Live Evil covern wollte (zumindest teilweise wegen Airtos Spiel). branch stellt zudem fest, dass Parker Live Evil als eines seiner Lieblingsstücke nennt. In der Tat spielte Parker eine Art Teo-Macero-Rolle für Anteloper auf Pink Dolphins. Parker erklärt: “The source material that was initially sent to me was many, many hours of improvised sessions that needed to be sifted through. It was overwhelming! So eventually Anteloper went back in the lab and edited the source material down into smaller chunks, and we went from there. It took me a long time to find a groove with it… I spent many months experimenting with different techniques and ideas. I would send them tracks, they would add to it and send it back. It was definitely a challenging way to make a record. I learned a lot. It was worth it!”
Nazary merkt an, dass sie sich als Duo weiterentwickelt haben, indem sie ihre Beziehung zur Elektronik verfeinert haben: “The other step for us is how we are interfacing – how I am using the drums to control electronics. I’m always looking for a different way.” Branch verweist auf frühe Einflüsse wie Sun Ra, Mouse on Mars und J Dilla und spätere Einflüsse wie Moor Mother, Harriet Tubman und Sam Newsome. Sie führt die Bedeutung der Elektronik für sie als Forschungsinstrument an, sowohl in Bezug auf den Klang als auch auf die Technik. Nazary merkt an, dass ihr Schlagzeug-/Elektronik-Rig ein “cyborg setup“ ist, „the machines influence me as much as I do them.” Dann nennt er eine große elektronische Band als seine Hauptinspiration: “I love Autechre! That record Confield and Draft 7.30 – that’s it – that’s how I want to sound on the drums!”
Apropos anders: In der Mitte des Albums findet sich Earthlings, ein mitreißender Sci-Fi-Slowblues-Knaller mit branch am Gesang (eine Premiere für sie im Kontext von Anteloper). Wie das Album zustande kam, erzählen Parker und branch – verschiedene Seiten derselben Geschichte. Parker beginnt: “I made a 4-bar loop from one of their improvisations, and it was banging.” Den Loop schickte er zu branch, die sich erinnert: “I was lightly tripping on LSD and checking out Jeff’s loop when the melody came to me.” Nach dem Scheitern einer Freundschaft entstanden die Texte zum Teil als Reaktion auf die Folgen (‚Make you/Make sense/It Makes Sense‘), zum Teil als Erkundung: “knowing what time it is with somebody and trying to force it to make sense, but you know it’s not going to necessarily make sense.” Parker sagt, als sie den Text zurückschickte, hatte er bereits einen Loop aus einer ihrer Improvisationen extrahiert und “played a little Kenny Burrell-esgue guitar on it. I smashed the two things together, and away we went. It was done right after George Floyd and everyone was in the streets, right at the height of covid, etc. I think there’s a subtle message in jaimie’s lyrics.”Earthlings trägt auch etwas von der rauen Post-Tropicalian Wucht des späteren Werks der verstorbenen brasilianischen Samba-Königin Elza Soares in sich – nämlich von ihrem letzten Album, A Muher do Fim do Mundo (The Woman At The End of The World). Obwohl branch angibt, dass es keine unmittelbare Inspiration für Earthlings war, sind die klanglichen und spirituellen Verbindungen keine Überraschung, wenn man bedenkt, dass branch mit Soares in einem wilden und schillernden experimentellen Treffen für das Rewire Festival 2021 zusammengearbeitet hat.

Ob absichtlich oder nicht, die Geister von Tropicalia werden auch auf One Living Genus, dem letzten Stück auf Pink Dolphins, beschworen. Es ist ein ausgedehntes (fast 15 Minuten dauerndes!) movement futuristischer Psychedelia – laut, direkt, ungeduldig, unhöflich, auf Fortschritt drängend – das an den farbenfrohen, kompromisslos kreativen und revolutionären Geist erinnert, der Ende der 1960er Jahre von Brasilien ausging, aber eher wie die moderne kulturelle Agglomeration der Stadt New York schwingt, die die Band ihr Zuhause nennt. Nazary beschreibt den Track so: “fully exploring those underwater cavernous sounds, the drums dropping deep bass pillars, while jaimie’s synths swim circles in and around. Jeff’s production brilliantly captures both the stillness and constant motion in our sound, ever evolving but always rooted in the genus.”
Was dieses Album so besonders macht, ist die Art und Weise, wie dieses Duo mutig das Bekannte verlässt und sich auf weniger ausgetretene Pfade begibt. Hier gibt es keine vorgefertigte Schablone, nur Klang. Es gibt nur einen Ausgangspunkt, die Zerstörung dieses Punktes und die telepathische Erschaffung eines neuen Auswegs. Die von beiden Musikern eingesetzte Elektronik ist ein Navigationsgerät, ein Transportmittel für Klänge. Das Ergebnis ist eine freie, jenseitige, improvisierte Musik, inspiriert vom Unbekannten und zu Hause in der Astro-Welt. Aber die treibende Kraft hinter der psychedelischen space music von Anteloper ist nicht Eskapismus, sondern ein vollständiges Eintauchen in die Hyperrealität der Gegenwart. Ihre Musik ist dafür gemacht, Konzepte von Vergangenheit und Zukunft zu zerstören, sich dem Augenblick zu stellen und ihn zu umarmen, um das Hier und Jetzt zu verbessern. Es ist eine Musik, die so selten und verwirrend schön ist wie die rosa Delphine, die durch den Amazonas gleiten.
Anteloper auf Tour
20 May – Alter Schlachthof – WELS, Austria
21 May – Kulturlabor Stromboli – HALL, Austria
23 May – Moods – ZURICH, Switzerland
25 May – bee-flat – BERN, Switzerland
28 May – Jazzclub Tonne – DRESDEN, Germany